Eine sinnliche Kurzgeschichte von Jürgen Walter Hoffner „Ich liebe Dich!“

„Ich liebe Dich!“ 

Wie sie es sagt, ist wie eine Melodie. Nicht, dass sie es sagt. Das, was sie damit transportiert, macht es so besonders.

Ich schaue in ihre Augen. Fühlend schauend.

Im Außen sehe ich ihre wunderschönen blauen Augen, die mich bereits vor über 25 Jahren verzaubert hatten. Nach wie vor geht eine Faszination davon aus. Anders als damals. Es hat sich im Laufe der Zeit immer mal wieder gewandelt in Abhängigkeit unserer Lebenssituation. Es war nie schöner als jetzt.

Im Innen spüre ich mich. Was passiert jetzt gerade in mir? Ich beobachte es.

Ihre Augen lächeln mich an. Es geht immer mehr in mir in Resonanz. Es kommt an, was sie sendet. Ich spüre in meinem Bauch eine Energie aufsteigen in Richtung meinem Herzen.

Es ist nicht mehr wie früher. Vor einigen Jahren hätte ich einfach gleich „Ich liebe Dich“ erwidert. Aus welchem Impuls heraus? Das hatte ich nie hinterfragt. Sie sagte die Worte und ich wollte ihr es gleich zurück geben ohne der sich entfaltenden Energie Aufmerksamkeit zu schenken. Was würde eine Pause bewirken? Meint sie dann, ich würde sie nicht lieben? Meint sie, es würde etwas zwischen uns stehen, wenn auch nur eine Kleinigkeit aus dem Alltag? Ich hätte es aus Höflichkeit gesagt, weil man das nun mal so macht. Gefühlt hätte ich es nicht wirklich. Ich war ja gar nicht da. Mit meinem Gefühl. Diese letzte Aussage hätte ich damals nicht gänzlich begriffen. Sie hat es schon immer gefühlt wie präsent ich da bin. Mein ´Ich liebe Dich´ war natürlich auch oft so gemeint. Aber tatsächlich nicht so tief gefühlt. So gut es eben ging. Liebe ich denn wirklich? Ist das Liebe? Warum fehlt dann was? Und was genau fehlt denn? Ach, sei doch zufrieden. Es könnte schlimmer sein. So etwas durchzuckte manchmal meinen Geist.

Ich möchte ehrlich sein dürfen. So war es. Ich hätte gesprochen, bevor ich gefühlt habe. Es wäre eine relativ unbewußte zielorientierte Bedürfnisbefriedigung gewesen. Es wäre ein Abfolgen einer Gewohnheitskette an Ereignissen gewesen. Weit über 1000 Mal so erfolgt. Immerhin sagten wir es uns. Auch an schmerzhaften Tagen zumindest ein einziges Mal. Vielleicht habe ich es in schwierigen Umständen auch gesagt, ohne es zu meinen. Damit Frieden herrscht oder Harmonie oder um etwas zu bezwecken. Um Dich zu beruhigen. Um danach einen Wunsch zu äußern. Jetzt bloß nicht noch weitere Probleme ausbreiten. Es reicht, was an Problemen vielfältiger Art schon da ist.

Bitte gib mir ein kleines bisschen Sicherheit. Damit zumindest diese Baustelle für den Moment so in Ordnung ist. Also habe ich es einfach erwidert. Weil ich es umgekehrt so auch gewohnt war. Oder weil ich in Gedanken womöglich woanders war? Wo war ich in meinem Geiste?

Viele Gedanken und viele Probleme schaffen Unklarheiten und Unruhe, Stress und Orientierungsprobleme. Mangel in mir schafft Manipulationsmaßnahmen, größere oder kleinere, unbewußte und welche, für die ich mich selbst schäme. Entfremdet von mir selbst. Distanziert von mir selbst. Wie soll da ein WIR möglich sein, wenn nicht mal ein ICH da ist, das ich wirklich fühlen kann? Weiß ich, wer ich wirklich bin?

Jetzt heute in diesem zauberhaft schönen Moment sind solche Fragen und Gedanken nicht da. Sie dienen lediglich Erklärungsversuchen, um die heutigen Erfahrungswelten nachvollziehbar zu beschreiben.

Es herrscht Ruhe in mir. Stille. Gelassenheit. Ein Nicht Wollen. Ich fühle in meinem Körper wie ruhig es gerade ist. Gedanken können wie kleine Steine sein, die ich in das Wasser werfe. Die Steine kommen angeflogen wie Gedanken und verursachen eine Reaktion in mir. Sie prallen auf die Wasseroberfläche und lassen das Wasser als Reaktion aufspritzen. Mein Spiegelbild kann ich dann im Wasser nicht mehr erkennen. Es herrscht Chaos. Das Wasser breitet sich aus und überlagert sich womöglich mit anderen Wellen, deren Ursprung andere Steine sind. Je mehr Steine in das Wasser geworfen werden, desto mehr gerät alles Durcheinander.

Was, wenn kein Stein existiert? Wenn die Wasseroberfläche des Sees ein Spiegel ist. Und ich kann darunter in die Tiefe schauen oder fühlen. Ein Sehen auf einer anderen Ebene. Klarheit. Wahrheit. Es ist alles da, was es braucht. Es fehlt an nichts. Es muss nicht erst etwas erreicht werden. Ja, diese Möglichkeit besteht. Und wir haben gelernt, diesen Zustand auszuweiten. Die Oberfläche des Sees in mir beruhigt sich. Es legt sich die Unruhe aus Gedanken. Ich komme im Hier und Jetzt an.

Ich schaue auf ihre sinnlichen Lippen. Ihr zunehmendes Lächeln steigert die Energie in mir. Ich spüre wie wir immer mehr in Einklang kommen. Was ich außen sehe, ist stimmig zu meinen Gefühlen in mir. Es gibt keine Erwartung. Weder an die Zeit, innerhalb derer ich zu antworten hätte. Noch an den Inhalt der Antwort.

Sie hat es aus ihrem tiefsten Herzen gesprochen. Sie ist diese Liebe. Jetzt. Sie liebt mich bedingungslos. Grenzenlos. Es öffnet sich eine Art Tür in meinem Herzen. Erst an einem Ort in mir, den ich nicht im Detail untersuchen möchte gerade. Irgendwo in meiner Brust. Es weitet sich aus. Es wird leicht. Ich atme leichter. Die Leichtigkeit breitet sich über mein Herz, meinen Hals bis über meine Schläfen aus. Im Gleichklang merkt sie das auch. Das sehe ich. Etwas Dergleichen passiert auch in ihr. Wir sind uns sehr nah und kommen einander immer näher, obwohl wir gemütlich nebeneinander liegen. Unsere Körper sind entspannt und entspannen sich von Atemzug zu Atemzug mehr und mehr. Ein unsichtbares Band, das immer da ist, wird präsenter.

Wir lachen bis über beide Ohren. Ich schaue sie weiter an und finde nichts, das mich stören könnte. Ihre Fältchen am Mundwinkel oder an ihren Augen. Alles ist… es ist… nicht zu bewerten. Es existiert kein Bildnis, das ich mir von ihr mache. Es ist einfach nur schön, ohne, dass diese Bewertung „schön“ die Magie des Augenblickes bewertet. Es gleicht einer Wonne, einer Heimat im Herzen… so selbstverständlich… so rein… ein sich zuhause fühlen und miteinander sein.

Mein Blick dringt tiefer in sie ein. Ich nehme bewußter wahr, was ich sehe. Die Vielfalt der Blautöne in ihren Augen beginnen zu schimmern wie ein von Lichtstrahlen begrüßter Diamant. Da ist auch ein güldener Bereich und noch so viel mehr in feinsten farblichen Facetten. Es gibt ein Gefühl, das gerade da ist. Ich nehme es an. Ich hinterfrage es nicht. Es ist das, was nun eben da ist. Ist es mein Gefühl, ist es ein Ausdruck in ihr? Wer weiß. Es sind unsere Empfindungen und wir nehmen wahr wie sie sich begegnen. Sie wollen klar werden. Sie wollen gefühlt werden. Irgendwas aus dem Tag, das wir bis hierher mitgetragen haben. Es kommt in Balance und befreit. Kurz meine ich, etwas damit bezwecken zu wollen, die Energie beeinflussen zu wollen. Sogleich erinnere ich mich, dass dieses Einordnen und Lenken in diesem Moment nicht förderlich sein würde.

Zeit existiert gerade nicht. Es gibt keinerlei Bezug dazu. Es ist zeitlos. Es ist.

Ein Gefühl der Dankbarkeit überwältigt mich.

„Danke!“ fließt es aus mir in einer Stimmigkeit, die eine Brücke baut aus meinem Inneren, aus meinem Herzen in ihr Herz. Es schaut aus meinen Augen tief in ihre Pupillen hindurch. In diesem Moment gleichzeitig kommt dieser Ausdruck aus mir in ihr an. Unsere Herzen lachen und unser Gesichtsausdruck geht in tiefere Harmonie.

„Danke für Deine Liebe! Danke, dass Du mich liebst!“

Ich weiß, dass Du Dich aus einer Freiwilligkeit für mich entscheidest. Du bist hier, weil Du hier sein willst bei mir. Welch ein Geschenk. Es ist keine Selbstverständlichkeit. Wir sind frei. Wir leben eine monogame Beziehung. Und wir sind frei. Der Besitzanspruch aufeinander ist so viel kleiner geworden und zumeist überhaupt nicht mehr da. Früher brauchtest Du mich, warst auf mich angewiesen. Und ich auf Dich. Auf unterschiedliche Weisen. Die Verflechtungen und gemeinsamen Verpflichtungen hätten uns gar nicht ohne weiteres ausbrechen lassen. Auf der Sachebene und der praktischen Ebene gab es eine Vermengung, die eine Trennung zu einem Desaster gemacht hätten.

Emotional waren wir unfrei. Ja, wir waren sogar einmal emotional verschmolzen. Verschmolzen und doch entfernt. Wir waren innerlich mitunter weit auseinander und haben viel beschwerlicher zu uns gefunden. Es war weit oberflächlicher in unserer Begegnung. Wir hatten einmal ein Leben wie es eben üblicherweise als normal angesehen wird. Wir dachten einmal, es sei normal so wie es ist.

Wir hatten uns oft verletzt ohne es zu merken. Wir hatten einander nicht verstanden. Nicht, dass wir uns nicht verstanden hätten. Von außen betrachtet, wenn wir mit anderen zusammen waren, war es auch damals eine gute, eine verhältnismäßig gute Beziehung. Auf welch feiner Ebene Verletzungen geschehen können, konnten wir damals nicht wahrnehmen. Es war alles bepanzert und kaltgestellt im Vergleich zu jetzt.

Wir hatten einmal lediglich funktioniert. Wir wußten es nicht besser. In 25 Jahren gab es beileibe nicht nur Höhepunkte. Diese Beziehung hatte schon sehr viel zu ertragen. Das Leben fühlte sich wie ein Kampf an zwischen zu wenig schönen Momenten. Die Verantwortung in der Arbeit, einige schwere Krankheiten in der Familie, das Pflegen unserer Eltern, der Tod meiner Eltern kamen zu unseren Beziehungsthemen hinzu. Unsere lieben Kinder… ich wollte es einmal besser machen… und konnte nicht immer der Vater sein, der ich gerne sein mochte.

Mein beruflicher Ehrgeiz, der in der Tiefe doch nicht mehr war als der Wunsch nach dem Segen meines Vaters, machten mich zur Arbeitsmaschine. Heute kann ich mir diese Anerkennung selbst schenken und bin vollkommen im Reinen mit der Vergangenheit. Damals gab es viele unruhige oder schlaflose Nächte.

Unsere damaligen unterschiedlichen Vorstellungen von Intimität waren der ganz große Schmerzpunkt. Unsere Beziehung war an einem Totpunkt angekommen. Und gleichzeitig war dies das größte Transformationspotential, das wir nutzen konnten.

In den letzten Jahren wurde es immer schöner und schöner. Du müßtest nicht hier sein. Du bist eigenständig. Du bist unabhängig. Und ich auch. Ich weiß wie das weibliche Instrument in vielen Varianten gespielt wird. Ich weiß, wie ich eine Frau verführe. Auch ich bin freiwillig hier. Jeden Tag entscheiden wir uns füreinander. Jeder Tag, der uns gegönnt ist, ist ein Geschenk. Gemeinsam genießen wir das Leben.

„Ich liebe Dich!“ sprudelt es sanft aus mir heraus.

Das zarte Bedürfnis, mich auf Dich zuzubewegen, keimt auf und ich folge diesem direkt. Es mündet in einer sanften Berührung unserer Lippen. Es schmeckt wundervoll. Danke, danke für alles! Dir und allem, das dazu beigetragen hat, das so etwas möglich ist.

Ich weiß, dass es nicht für immer so sein wird. Die einzige Konstanz liegt im Vergänglichen. Diese Geschichte ist ein Wimpernschlag in der großen Schöpfungsgeschichte. Dann laß uns selbst diesen Moment und auch den Wandel genießen… in jedem Moment… so gut es eben geht. Allein das zu fühlen, was jetzt ist, war alles wert. Alle Mühen. Alle Schmerzen. Alles Leid. Selbst wenn uns das Schicksal herausfordern sollte, existiert eine Basis, die besser nicht sein kann, um auch dann wieder eine Lösung zu finden.

Egal wie lange uns das Leben diesen Zauber gönnt. Er ist da, er existiert und er ist es wert. Er ist alles wert. Das ist für mich der Sinn des Lebens. Dieser Zauber. Liebe. Ekstase. Dieser Genuß. Solange wie möglich. Das wünsche ich allen Menschen aus tiefstem Herzen. Eines Tages wird es so sein. Eins. Wie wir. Ganz viele Menschen. Nicht exakt wie wir. Nicht exakt so. Anders. Noch viel viel schöner!

Ich liebe Dich über alles! Auch im nächsten Leben und gerne für die Ewigkeit!

Für immer Stefanie.